Tropensturm Ana überschwemmt den Süden von Malawi
Im Süden ist quasi das ganze Land überflutet, Häuser und Saaten wurden weggespült und die Menschen fliehen in die Städte Nchalo, Chikwawa und Nsanje, wo sie Zuflucht suchen. Francis Folley von YCD in Nchalo berichtet, es gibt weder Nahrung noch sauberes Trinkwasser und viele Menschen schlafen auf der Hauptstrasse auf dem Asphalt, da diese etwas höher liegt und dadurch teilweise trocken bleibt. Letzten Sonntag informierte uns Francis, dass die Kirchen und Schulen, die nicht überflutet sind, Zufluchtsorte wurden und dass viele Menschen schon 2-3 Tage nichts mehr gegessen haben. Kurzerhand konnten wir letzte Woche CHF 2500.- zu YCD schicken. Francis und sein Team schafften es, nach Blantyre durchzukommen, Maissäcke zu besorgen, Mehl zu mahlen und zurück nach Nchalo zu bringen. Hier ist seinen Bericht Bericht von Francis verlinken. Im heutigen Zoom sagte er uns, dass ohne diese Aktion viele Menschen bereits verhungert wären. Sauberes Trinkwasser gibt es keines und die Leute trinken das Flutwasser, bekommen Durchfall und Fieber.
Im Internet fanden wir noch dieses kurze Video, das das Ausmass der Katastrophe zeigt:
Lange Rede, kurzer Sinn: Die Leute brauchen dringend Nothilfe. Sie verhungern.
Die Regierung ist nirgends, auch andere NGO’s wurden bis jetzt in Nchalo nicht gesehen. Patimalawi ist bisher die einzige Organisation, die in Nchalo aktiv hilft.
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Lasst uns weiterhelfen!
Hier eine kurze Factliste:
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Die knapp 800 Menschen die bisher Nahrung erhalten haben, sind etwa ¼ der insgesamt hilfsbedürftigen Menschen in und um der Kleinstadt Nchalo. Mit CHF 2500.- können diese Menschen für 10 Tage Nahrung erhalten.
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Es ist für Francis und sein Team möglich, in Blantyre Mais zu besorgen und zu mahlen. Obwohl die Strasse teilweise überflutet ist und von Blantyre abgeschnitten, können dank seinem Netzwerk die Maissäcke auf dem Kopf durch die überfluteten Strassenteile getragen und auf der anderen Seite weitertransportiert werden.
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Die Menschen brauchen:
- Nahrung für mindestens 2-3 Monate
- Ärztliche Versorgung (dringend)
- Saatgut
- Unterstützung im Aufbau der Häuser
- Benzin für Transporte und den Generator
Was macht Patimalawi?
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Mit Francis haben wir besprochen, dass er und sein Team sich darauf fokussieren, vorerst Nothilfe zu leisten (Nahrung zum Überleben und Plastikplanen für Notunterstände) und in einem zweiten Schritt, die Menschen zu unterstützen, den Wiederaufbau ihrer Häuser und ihrer Lebensgrundlagen in Angriff zu nehmen.
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Wir werden sämtliche Spenden umgehend zu YCD überweisen. Wir sind mit Francis im engen Kontakt, um die jeweils nächsten Schritte zu planen und an die Notlage anzupassen
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Wir senden diesen Newsletter auch an Ärzte ohne Grenzen, Unicef, Rotes Kreuz, und werden nachfragen, woran es liegt, dass bisher keinerlei ärztliche Versorgung in dem Gebiet angekommen ist (die Behandlung von Durchfallerkrankungen und die Versorgung mit sauberem Trinkwasser wäre ja so dringend um Leben zu retten).
Planung und Reise
Am 19.11.2018 startete ich nach Malawi, nur mit Handgepäck ausgestattet und dem Willen, mich drei Monate ganz in diese afrikanische Welt hineinzubegeben. Ich hatte schon seit meiner Jugend diesen Wunsch gehegt und mit Reisen nach Südafrika und Namibia bereits ein bisschen Afrika gekostet, doch ich spürte, im Inneren des Kontinents erwartet mich etwas anderes, eine andere Dimension. Ich konnte es aber nicht benennen. Meine Arbeit als Abteilungsleiterin einer Berufsbeistandschaft im Zürcher Weinland unterbrach ich für diese Zeit, froh, alles gut organisiert und mit einer guten Stellvertreterin hinterlassen zu haben. Eine stressige Zeit lag hinter mir und ich sehnte mich danach, alleine zu sein, nichts zu müssen, einfach abzutauchen in eine andere Welt, zu gucken und staunen, es einfach neugierig auf mich zukommen zu lassen.
Die Organisation, für die ich arbeiten wollte, fand ich auf der Plattform Workaway.info. Sie hatte Projekte, die mich interessierten und die Kontaktaufnahme mit Francis Folley war sehr positiv gewesen. Ich erhielt auf alle Fragen umgehend detaillierte, freundliche Antworten, was mir Sicherheit gab. Immerhin begab ich mich in ein Gebiet mit allerhand fiesen Krankheiten und ich wurde von meinem ganzen Umfeld gewarnt, dass ich mich in eine grosse Gefahr begab. Gut beraten, rundum geimpft und mit Malaria Prophylaxe ausgestattet, hoffte ich gesundheitlich für mich das Beste und startete optimistisch. Ich hielt mich dann auch drei Monate an sämtliche Vorsichtsmassnahmen und blieb tatsächlich die ganze Zeit über gesund.
Ankommen
Das Ankommen in Malawi war ein Erlebnis der besonderen Art. Man betritt eine andere Welt. Bereits beim Flughafen Blantyre reibt man sich die Augen und wähnt sich 50 Jahre zurückversetzt. Auf der Fahrt nach Nchalo die ersten Eindrücke entlang der Strasse, ich konnte es kaum glauben, was ich sah. Der Grad der Armut, der sich im Aussehen und den (Inter-) Aktionen der Menschen, in den Verkaufsständen und in der Umgebung widerspiegelte, traf mich mit voller Wucht. Es war sehr eindrücklich und ich war gespannt auf meine bevorstehenden Aufgaben.
Die Bezirke Chikwawa und Nsanje liegen im Süden von Malawi und grenzen an Mozambique. Zwischen Blantyre und Chikwawa liegt ein Höhenunterschied von 1000m. Unten angekommen, fährt man über den Shire River wie durch eine Hitzewand hindurch und verbleibt in dieser Temperatur. Der Bezirk Chikwawa ist die heisseste Gegend in Malawi und viele Malawier weigern sich, dort hinzugehen, weil diese Hitze so unbarmherzig ist.
Ich wurde sehr herzlich empfangen von Francis und Cecilia und bezog mein neues Zuhause, welches in Malawi einer Mittelschicht bei uns entspricht. Ich nahm mir ein paar Tage, um mich zu adaptieren und an die Hitze zu gewöhnen. Zweiteres gelang mir nie ganz. Bis zum Schluss setzte mich die Hitze immer wieder ausser Gefecht, liess mich oft gar verzweifeln. Der Staat ist nicht in der Lage, die Bevölkerung mit genügend Strom zu versorgen, weswegen der Strom am Tag sechs Stunden ausfällt. Dies geschieht zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten. Generatoren gibt es nur selten. In Nchalo hatte der Supermarkt eine und einige wenige Läden und eine Lodge, die auf Strom angewiesen waren. In der stromlosen Zeit gab es nichts, womit man sich hätte abkühlen können, kein Fan an der Decke, keine kalten Getränke, kein frisches Wasser. Nur gestaute Hitze, an manchen Tagen bis zu 43 Grad. Der Körper ist permanent beschäftigt, sich herunterzukühlen auf die natürliche Körpertemperatur. Ich bewunderte viele der Einheimischen, die trotz dieser Hitze am Arbeiten waren, teilweise in der sengenden Sonne in den Zuckerrohrfeldern stehend, mit Babies auf dem Rücken arbeiteten oder die Jungs auf den Biketaxis, die sich abstrampelten.
Transportsystem
In Malawi gibt es kein staatliches Transportsystem. Der öffentliche Verkehr wird von privaten Anbietern bestritten, die sogenannte Minibusse betreiben. Diese sind zum grossen Teil in einem technisch miserablen Zustand und Komfort gibt es gar keinen. Die Busse werden aus ökonomischen Gründen vollgestopft mit Menschen und deren Gütern, die auch aus lebendenen Tieren bestehen können. Die Preise unterliegen dem freien Markt oder – was ich mutmasse – werden über Preisabsprachen gesteuert. Im Bus fährt immer ein Conductor mit, der während der Fahrt einkassiert. Man hat keinerlei Möglichkeit, die Fahrtzeit einzuschätzen. Der Bus hält überall und lädt Leute aus und ein. Die Fahrt von Nchalo nach Blantyre dauerte von 1.5 bis zu 3 Stunden, je nachdem, wie viele Leute in Chikwawa ausgestiegen waren und wie lange die Wartezeit dauert, bis der Bus dann wieder voll war. Mit halbleerem Bus wurde nicht losgefahren. Reklamieren war zwecklos, auch in der grössten Hitze in der prallen Sonne. Die Fahrten im Minibus haben mich der malawischen Bevölkerung sehr Nahe gebracht und meine bisherige Komfort- und Distanzzone massiv unterschritten. So auf engstem Raum zusammengepfercht, teilweise mit Kindern auf dem Schoss, mit Waren und Tieren beladen durch die afrikanische Steppe zu fahren, der Blick auf die Hütten und Dörfer entlang der Strasse, beobachten, fühlen, riechen, teilen, Erkenntnisse gewinnen und Verständnis entwickeln für diese Menschen, deren Zusammenleben auf einer jahrtausendealten Kultur beruht, deren Erdverbundenheit tief verwurzelt ist und das Hinnehmen von Unannehmlichkeiten und das völlige Fehlen von Widerstand für mich bis heute unverständlich bleibt. Oft tat ich mich damit besonders in der Anfangszeit schwer, doch mit der Zeit lernte ich auch dies zu akzeptieren und teilweise anzunehmen.
Innerhalb von Nchalo konnte man sich mit Bike-Taxis fortbewegen. Ich liebte dieses Fortbewegungsmittel. Heerscharen von Bike-Taxis fuhren die Strasse hoch und runter, um sich für eine Fahrt anzubieten. Mit der Zeit kannte ich dann auch die Bike-Taxi Fahrer und freute mich stets auf ein Wiedersehen mit grossem Hallo. Bike-Taxi ist eine Haupt-Einnahmequelle für viele Malawier. Es bis zum Besitz eines solchen Velos geschafft zu haben, ist bereits ein unternehmerischer Erfolg.
YCD - Youth Coalition for the Consolidation of Democracy
Ich lernte die Organisation kennen, die aus 8 einheimischen Mitarbeitern bestand, die bisher alle freiwillig und ohne Bezahlung für YCD arbeiteten. Zusätzlich waren zu Beginn noch drei ausländische Volonteers anwesend, ein belgisches Paar, welches noch eine Woche blieb und eine kanadische Studentin, die noch drei weitere Wochen anwesend war.
In der ersten Woche fand eine Klausur/Retraite statt, in der Francis die Ziele des nächsten halben Jahres vorstellte und die angestrebte Vorgehensweise. Die Retraite fand in einer Lodge im Garten statt, mit einer Flasche Mineralwasser und einer Packung Kekse für jeden und einem gemeinsamen, sehr leckeren, einfachen Mittagessen. Spannend für mich war zu beobachten, dass die Zimmer der Lodge von Mitarbeitern einer international bekannten NGO belegt war, die gleichzeitig ein Meeting abhielten innerhalb des klimatisierten Gebäudes. Ich kann mich noch gut erinnern, dass es an diesem Tag 42 Grad heiss war und ich fast kollabierte.
Leben zu Hause
Francis Folley and Cecilia Chochoma sind ein aussergewöhnliches Paar. Cecilia arbeitet als Anästesistin im Spital in Nchalo und verdient einen bescheidenen Lohn (ca. 200 Franken monatlich), welche beide zum Leben benötigen und dabei noch etwas sparen. Francis verdient nichts. Von den Spendengeldern hat er bislang nie etwas für Privatzwecke entnommen. Die beiden leben in einem Haus in Nchalo, welches zum Spitalareal gehört und den Ärzten des katholischen Spitals zur Verfügung getellt werden. Ich hatte ein eigenes Zimmer, in welches ich mich oft zurückzog und erholen konnte. Wir hatten eine Haushaltshilfe, Chembe, der gekocht, geputzt, repariert und Wäsche gewaschen hat. Ich erlebte viele schöne Stunden in diesem Haus, hatte manche tiefgreifende Diskussionen und fand in schwierigen Zeiten Zuspruch und Verständnis. Chembe ist mir sehr ans Herz gewachsen.
Oft bewunderte ich ihn, wie er bei 42 Grad in der Sonne sass und Gemüse schnitt, ohne sich je zu beschweren.
Francis arbeitete rund um die Uhr. Der Arbeitstag begann für ihn morgens um 6 Uhr und endete mit dem Abendessen um ca. 19 Uhr, danach gingen wir alle zu Bett. Nachtaktivitäten gab es keine. Es ist wichtig, sich vor den Malaria-Mosquitos zu schützen, weswegen man sich zeitig unters Netz zurückzieht, vielleicht noch etwas liest und früh schläft, um sich um halb fünf von einem gigantischen Vogelkonzert wieder aufwecken zu lassen.
Ich erlebte Francis immer freundlich und zuvorkommend. Nie wurde er laut, launisch oder ungeduldig. Ich konnte meine Arbeit und Zeit immer frei einteilen, wurde nie unter Druck gesetzt. Zu den Essenszeiten hatten wir spannende Diskussionen und ich konnte mich in vielen Dingen sehr mit Francis Einstellung zum Leben identifizieren. So hat mich sehr beeindruckt, wie er über den Staat denkt. Er sieht den Staat als Diener der Bevölkerung, nicht als Machtausübender. Francis hat nie über Menschen schlecht geurteilt oder geredet, sieht jeden als Individuum mit seinem Wesen und seiner Geschichte. Das Wohlergehen der Kinder von Malawi steht für ihn an erster Stelle. Dazu gehört für ihn eine gute Schulbildung, die es in Malawi noch zu entwickeln gilt.
Seine Frau Cecilia ist eine starke Frau, die voll neben ihrem Mann steht. Sie verzichtet auf vieles. Die beiden könnten aufgrund ihrer Ausbildung in einer teuren Umgebung in Lilongwe oder Blantyre leben, entschieden sich aber explizit, in Chikwawa zu bleiben und diese ärmste Region von Malawi mit klaren Zielen zu entwicklen. Sie haben kaum Besitztümer, das Haus ist sehr einfach ausgestattet, man hat aber alles, um sich ordentlich zu versorgen.
Arbeit
Ich konnte selber wählen, bei welchem der Projekte von YCD ich mitarbeiten wollte. Da das Gefängnis-Projekt derzeit von niemandem betreut wurde und ich hier sehr eigenständig arbeiten konnte, entschied ich mich dafür. So besuchte ich jeweils mittwochs das Hochsicherheitsgefängnis in Blantyre, wo ich 6 Stunden Beratung anbot sowie jeweils montags und freitags das Bezirksgefängnis in Chikwawa, welches auch als Hölle bezeichnet wird, aufgrund der Hitze und den schlimmen Bedingungen. Dort führte ich ein Life-Skills-Programm durch, welches von Francis ausgearbeitet und bereits mehrfach durchgeführt wurde.
Die Gefängnisse in Malawi sind weit entfernt jeglichem Einhaltens von Menschenrechten. Durch massive Überfüllung zusammengepfercht, schlafen viele der Gefangenen in sitzender Position mit angezogenen Beinen. Man nennt dies Shamba. Hunderte von Männern verharren so aneinandergepfercht bei heissen Temperaturen von 15.30 Uhr bis morgens um 7.00 Uhr. Es ist kaum auszuhalten und eine regelrechte Folter. Manche drehen durch in der Nacht. Das gezeichnete Bild zeigt diese Haltung sehr anschaulich. Ein Gefangener zeichnete es extra für mich.
Einmal Pro Tag gibt es eine Mahlzeit, die immer aus Nsima (Maisbrei) und roten Bohnen besteht. Die Hygienebedingungen sind schnell erklärt. Es gibt einen Bad- und WC-Bereich, der zum Hof hin offen ist und eine Wasserstelle im Hof. Es werden weder Seife noch sonstige Hygieneprodukte zur Verfügung gestellt. Auch Kleider müssen selber mitgebracht werden. Nur wer in den Aussenbereich des Gefängnisses muss (zum Beispiel um dort Arbeiten zu verrichten), bekommt eine weisse Sträflingskluft, welche anschliessend wieder ausgezogen werden muss.
Die Gefangenen sind quasi alle unter- und mangelernährt, haben teilweise ausser einer kurzen Hose keine Kleidung, viele keine Schuhe. Manche erhalten Besuch von Familie oder Freunden, die auch etwas zu Essen mitbringen dürfen, doch ist dies die Minderheit. Bereits die Anreise mit den Minibussen zu den Gefängnissen ist für die meisten Angehörigen nicht erschwinglich. Einige Gefangene haben nicht einmal die Möglichkeit, ihren Familien mitzuteilen, dass sie im Gefängnis sind. Sie wurden verhaftet und sind seither für die Familien einfach verschwunden. Ungefähr ein Drittel aller Gefangenen ist immer noch in Untersuchungshaft, d. h. es fand noch gar keine Verurteilung statt. Es kann bis zu 8 Jahren dauern, bis die Richter sich dem Dossier zuwenden. Wer Geld hat und sich einen Anwalt leisten kann, der wird schnell bedient. Es kommt auch oft vor, dass mehrere Gefangene für die selbe Tat in Untersuchungshaft sitzen.
Die Gefängnisse sind streng hierarchisch geführt. Entscheidungen können kaum gefällt werden, da sich der jeweils gefragte Officer immer zuerst beim Nächsthöheren absichern muss, bevor er etwas entscheidet und dieser dann ebenfalls, so dass es oft lange Zeit braucht, bis selbst kleine Entscheidungen die Kaskade bis nach oben zum Gefängnisdirektor, dem Officer in Charge, hinaufgeklettert sind (z.B. in welchem Büro ich meine Beratungsstunden abhalten durfte in Chichiri). Die Officers sind alle in braunen Uniformen bekleidet und mit einem Schlagstock bestückt. Gelebte Willkür ist beobachtbar und scheint keine negativen Folgen zu haben. So beobachtete ich einmal das Schlagen eines Gefangenen, der einem Officer einfach im Weg stand und das Ausleeren eines von Besuchern mitgebrachten Essens auf den Boden. Generell müssen die Gefangenen in die Hocke gehen, wenn sie mit den Officern kommunizieren wollen oder müssen.
Ich möchte unbedingt erwähnen, dass ich einige sehr humane, mitfühlende Officers erlebt habe. Diese haben den Gefangenen geholfen, das Leben ein bisschen angenehmer zu machen, indem sie in verschiedenen Situationen beide Augen zugedrückten und in Augenhöhe mit ihnen kommunizierten. Ich konnte aber auch beobachten, dass diese menschlichen Handlungen immer heimlich stattfinden mussten. Vermutlich hätte dies negative Folgen für den Officer gehabt.
In beiden Gefängnissen gab es eine separate Frauensektion, in der wenige Frauen, teilweise mit ihren Kindern, in ebenso schlimmen Verhältnissen wie ihre männlichen Mitgefangenen lebten. Ich war je einmal in diesem Abschnitt gewesen, um den Frauen Seife zu bringen. Gerne hätte ich mehr Zeit investiert und bin nun auch froh, dass YCD nun eine Betreuung der Female Section aufgegleist hat.
Chichiri Prison, Blantyre
Das Hochsicherheitsgefähngnis in der Grossstadt Blantyre beherbergt 2000 Gefangene und liegt im Stadteil Chichiri, direkt hinter einem grossen Shopping Center. Zu Beginn meiner Tätigkeit ging ich über Mittag dorthin, um mir etwas zum Essen zu holen. Bald konnte ich das Erleben dieses Gegensatzes aber nicht mehr aushalten, sodass ich etwas zu Essen mitbrachte und den ganzen Tag im Gefängnis blieb. Generell waren die Übergänge in- und aus dem Gefängnis begleitet von einem dumpfen Gefühl der Ohnmacht und Trauer.
Beim Hereinkommen am Morgen musste ich meist bis zu einer Stunde warten, bis die Kaskadenzeremonie beendet war und mir ein Büro zugewiesen wurde (welches fast immer das selbe war). In dieser Zeit sass ich im Eingangsbereich auf einem Plastikstuhl und beobachtete die Frauen und Kinder, die ihre Männer besuchen wollten und auf schmalen Holzbänkchen warteten. Viele von ihnen waren bereits stundenlang gereist, hungrig und dehydriert und voller Erwartung, ihre Männer und Söhne zu sehen. Diese wiederum standen auf der anderen Seite des Gitters, zusammengepfercht und ihren Frauen zuwinkend, während die Officers das Tor bedienten, um einen nach dem anderen herauszulassen und in den Besucherraum zu begleiten. Ich sass an der Seite und beobachtete, hörte das metallene Krachen der immer wieder zudonnernden Gittertüre und die vielen Stimmen und konnte die Verzweiflung und Anspannung dieser Menschen förmlich spüren. Beim Verlassen des Gefängnisses am späten Nachmittag begleiteten mich einige der Gefangenen, die ich beraten hatte, zu diesem Ausgang, wo hinter mir die Gittertüre zufiel und mir zum Abschied dankbar hinterhergewunken wurde. In diesem Momenten schnürte es mir regelrecht das Herz zu. Noch wenn ich heute – zwei Monate später – diese Zeilen schreibe, muss ich mit den Tränen kämpfen. Bei meinem letzten Besuch konnte ich mich fast nicht losreissen und hatte das fürchterliche Gefühl, diese Menschen im Stich zu lassen.
Meine Arbeit bestand wie gesagt aus Beratungen, die meist in der Spitalsektion stattfanden. Die NGO Ärzte ohne Grenzen haben in Chichiri eine wirklich tolle Station aufgebaut mit Untersuchungsräumen in Containern, von denen ich einen Raum benutzen durfte. Die Schlange vor meinem Büro war in kurzer Zeit so lang, das von vornherein klar war, dass ich nicht alle beraten konnte an diesem Tag. Ein Gefangener, der einen Hochschulabschluss hatte und hervorragend Englisch sprach, Alinafe, wurde mir als Übersetzer zur Verfügung gestellt. Bald waren wir ein tolles, eingespieltes Team, das sich auf die zentralen Fragen konzentrieren konnte, um soviel wie möglich bewirken zu können. Die meisten Ratsuchenden wollten stundenlang erzählen, warum sie überhaupt hier waren, dass sie unschuldig seien, dass sie aus Not gehandelt hatten, dass sie seit zwei Jahren auf ihren Prozess warteten, dass sie sehr krank seien (tatsächlich waren viele HIV-infiziert oder hatten Tuberkulose oder Magengeschwüre), wie furchtbar schwer die Bedingungen hier auszuhalten seien und dass sie so bald wie möglich hier raus müssten, weil ihre Frauen, Kinder und Mütter zuhause ohne sie nicht überleben würden. Die Bedürftigkeit war extrem gross und teilweise von mir gar nicht beeinflussbar, sodass ich nach der dritten Woche in eine eigene Hilflosigkeitsphase hineinglitt. Ich konnte mir eine telefonische Supervision aus der Schweiz von Lea Keller holen, die mich dahinleitete, das Mögliche vom Unmöglichen zu unterscheiden und dies gleich zu Beginn eines jeden Geprächs klar zu deklarieren. Von da hinweg lief es wie am Schnürchen, wir konnten nun auch gut und speditiv durch die Gespräche leiten und dadurch mehr Gefangenen die Gelegenheit geben, mit uns zu reden.
Einer der wichtigsten Punkte war das Anerkennen, in welch schwieriger Situation ein jeder war, welche Kraft es kostete, das alles auszuhalten und mit Fragen und Angeboten im Gefängnis neue Wege zu suchen. So waren wir in der Lage, einige der Gefangenen zu motivieren, die interne Schule zu besuchen, in der Alinafe Lehrer war und ihre offizielle Schulbildung zu beenden. Andere, bereits länger Inhaftierte konnten sich mit den verzweifelten Neulingen austauschen und ihre Bewältigungsstrategien teilen. Insbesondere die Shamba- Schlafposition führt nach stundenlangem Aushalten zu psychotischen Schüben, in denen die Gefangenen aufstehen und herumschreien, woraufhin sie dann von anderen Gefangenen eine Abreibung erhalten, die jeglichen Widerstand abtötet. Bevor sich jemand im Gefängnis so „einrichten“ kann, dass er diese Tortur dauerhaft überlebt, geht er durch verschiedene Phasen wie Verzweiflung, Widerstand, Lethargie und oft Suizidgedanken.
Yale, ein 49-jähriger Mann, kam zu mir, weil er nach 28 Jahren Haft bald entlassen wurde und Angst davor hatte. Er sass so lange im Gefängnis wie Nelson Mandela und wurde inhaftiert, als dieser entlassen wurde. Ich habe ihn seine Ressourcen aufzählen lassen, wie er diese 28 Jahre durchhalten konnte und danach war klar, dass er genügend stark sein würde, sich der Welt draussen zu stellen. Meine weitere Arbeit bestand darin, seine Schwester ausfindig zu machen und sicherzustellen, dass er in einem ersten Schritt zu ihr kommen kann. Ich hinterliess ein kleines Startkapital und einen beseelten Yale.
Anderen, über ihre Familie besorgte Gefangenen, finanzierte ich den Besuch der Ehefrau oder des Bruders in unserem Setting, um über mögliche Hilfe persönlich zu reden. Die Frauen hatten meist sehr gute Ideen, wie sie ein kleines Business aufbauen könnten, um sich und die Kinder durchzubringen, allein das Startkapital fehlte ihnen. Ich konnte dies jeweils zur Verfügung stellen, wenn die Pläne für mich und Alinafe realistisch klangen.
Einige Familien von Gefangenen besuchte ich mit Moses Waya, einem Mitarbeiter von YCD, in ihren Dörfern zuhause. Wir brachten Baumaterial, Mehl, Kleidung, Medikamente, einmal eine Ziege und erzählten der ganzen Dorfgemeinschaft, die zusammengekommen war, vom Gefangenen, der mich extra zu ihnen geschickt hatte. So hinterliess der Gefangene dann auch einen guten Eindruck in seinem Heimatdorf und wurde mit Sicherheit wieder wohlwollend aufgenommen nach dem Gefängnisaufenthalt.
Chikwawa Prison
Das Bezirksgefängnis von Chikwawa und behergt 500 hauptsächlich junge Erwachsene und liegt im heissesten Ort im Land. Dementensprechend nahm es mir fast den Atem und den klaren Kopf, wenn ich in der Mittagshitze hinfuhr und im brütendheissen Klassenzimmer 24 junge Männer in einem Life-Skills Programm for Behaviour Change anleitete. Dafür hatte ich Unterstützung von anderen Mitarbeitern von YCD sowie Cecilia Chochoma, die einen grossen Teil zur Gesundheitsprävention machte. Francis hatte das Programm selber aufgebaut und in 10 Session unterteilt:
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Einführung und herstellen von Sicherheit und Vertrauen
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Persönliche Entwicklungsziele
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Selbstbewusstheit
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Kriminalitätsbewusstsein und -prävention
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Fertigkeiten zur Erlangung von Unabhängigkeit
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Fertigkeiten zum Umgang im sozialen Umfeld
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Gesunder Lebensstil
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Familienbesuche in den Dörfern
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Resilienz und Bewältigungsstrategien
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Evaluation der Persönlichen Ziele
Ziel war, dass die „Jungs“ nach der Entlassung nicht mehr straffällig wurden. Bald bemerkte ich, dass Behaviour Change gar nicht das Problem war, dass sie hinter Gitter gebracht hatte. Mehrheitlich war dies Nichtwissen, Stehlen aus bitterer Not, eine naive Vertrauensselikgeit gegenüber Gaunern, die das grosse Geld versprachen und weiterer Vergehen, für die man sich in der Schweiz bestenfalls eine Busse eingehandelt hätte. Hier sass man als junger Mensch drei Jahre im Gefängnis dafür.
Meine Arbeit beinhaltete die Bestandesaufnahme der einzelnen Teilnehmer, deren Lebensziele, das Besuchen der Familien in den Dörfern, um eine wohlwollende Rückkehr einzufädeln, dem Input des Life-Skills Programms, welches durch Gruppendiskussionen und Rückmeldungen ihren Hauptteil hatten, sowie am Ende des Programms ein Rückblick, welche Erkenntnisse die einzelnen Teilnehmer aus dem Programm gewonnen hatten und welche konkreten Pläne sie nach der Entlassung verfolgten. Ich entschloss mich dann kurzerhand, mit dem aus dem Crowdfundig übrig gebliebenen Geld sowie einem eigenen finanziellen Zustupf jedem Gefangenen 50 Franken zu hinterlassen. Dieses Geld wartet bei YCD auf sie. Sobald sie entlassen werden, können sie die Hälfte des Betrages dort beziehen und mit Francis Folley oder Moses Waya zusammen einen Businessplan machen. Nach dem erfolgreichen Aufgleisen des geplanten Geschäftes wird der Fortschritt von YCD begutachtet und der zweite Teil des Geldes ausgehändigt. Bereits zwei Gefangene wurden seither entlassen. Einer konnte in den Maismehlhandel einsteigen, ein anderer eröffnete eine Metzgerei.
Das Life-Skills-Programm wird jeweils mit einem Fest abgeschlossen, in dem jeder Teilnehmer ein Zertifikat sowie ein T-Shirt erhält, getanzt und geschauspielert wird (herrlich… ein kleines Theater, in welchem eine Szene gespielt wurde, die vor Gaunern und zuviel Alkohol warnen sollte). Ich wurde so herzlich mit einem selbstgemachten Korb und Zeichnungen verdankt, dass ich sehr berührt war.
Mit schwerem Herzen flog ich nach drei Monaten nach Hause – und mit einer tiefen Dankbarkeit, dies tun zu können. Zurück in unsere heile Welt, in funktionierende Strukturen, den Luxus einer Dusche, Hygiene, Waschtürme, Strassenlaternen, der Existenz eines Grundbuchamtes und einer KESB, die SBB, das Rechtssystem und insbesondere das Verfahrensrecht und die Rechtsgleichheit. Das Nicht-Befürchten-Müssen von staatlicher Willkür, vor welcher ich in Malawi immer latent Angst hatte und vieles vieles mehr.
Die ersten drei Wochen zuhause waren schwierig für mich. Bis heute konnte ich keine Antwort darauf finden, wieso ich dieses Leben verdient haben sollte und diese Menschen nicht. Reines Glück. Ich möchte wenigstens etwas dazu beitragen, damit dieses Land sich weiterentwickeln kann. Mit YCD als Organisation und Francis Folley als dessen Leiter kann ich voll und ganz hinter den Aktivitäten stehen, die wir in unserem Verein zur finanziellen Unterstützung anbieten möchten. Jederzeit möchte ich alle ermutigen, einmal ein paar Wochen hinzufahren und selbst mitzuarbeiten. Es ist einfacher als man glaubt.